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Besuch für Lian kara Ulior
Der Wagen ratterte erbärmlich, als er, von einem Ochsen gezogen, den Weg, der ihn zum Stadttor führte hinaufrollte. Sein Fahrer, ein breit und kräftig gebauter Mann, der wohl in seinen besten Jahren war, sah durch die harte Arbeit auf den Feldern aus, als müssten seine Enkel schon lange den Hof übernommen haben. Auf dem groben Holzwagen waren Mannshohe Strohballen geladen, die bei jeder Bodenwelle herabzufallen schienen, jedoch, wie von magischen Händen getragen, auf dem Wagen blieben. Auf dem letzten, dem kleinsten Ballen, kaum eine Handbreit vom Rand entfernt lag ein Mann in dickem, braunen Lederwams und einer breiten, kräftigen Lederhose. Neben ihm lag ein Lederrucksack, wie ihn Reisende verwenden, und dessen Bestzer in ihm alles zu verstauen schien, so prall war er, im Gegensatz zu seinem Besitzer, der selbst mit der dicken Reisekleidung und schlafend noch schlank wirkte.
Bei einer besonders großen Bodenwelle zuckte plötzlich der Arm des Mannes. Etwas benommen fuhr dieser sich mit dem Unterarm über die Augen, rümpfte die Nase und richtete sich auf. Dann fiel sein Blick auf den Rucksack und er öffnete die drei Riemen, die ihn hielten, zog einen abgewetzten Lederbeutel heraus und stemmte sich mit den Füßen gegen den Rucksack, um ihn wieder zuziehen zu können. Die Kante, die er nun im Rücken hatte, ignorierte er beflissentlich. Mit zwei raschen Griffen öffnete er den Brotbeutel, zog einen dünnen Streifen Hartbrot heraus und schnitt mit einem polierten Brotmesser die Hälfte ab. Während sich der vertraut herbe Geschmack der hineingebackenen Traxas-Wurzeln in seinem Mund ausbreitete, wandte er sich um, lehnte sich gegen den höheren Strohballen und betrachtete die Landschaft.
Das letzte Mal, dass er hier gewesen war, lag schon lange zurück, beinahe zwei Jahre, und es hatte nicht gut geendet. Während er den Berghang hinab auf die teils von der Sonne beschienen, teils von Wolken beschatteten Ebene blickte, erwachten die Erinnerungen in seinen Augen zu neuem Leben.
Wie heute war er auf einem Wagen angereist, der nicht seiner war. Man hatte ihn nicht ins Schloss gelassen, und als er sich selbst Zutritt verschaffte, konnte er nur eine Flügelspitze seiner ehemaligen Reisegefährtin erhaschen, bevor die Wachen ihn packten. Wäre er ein Anderer gewesen, hätte man ihn sofort hingerichtet, doch das hätte Lian mit Sicherheit erfahren, schließlich musste die Königin Es Karasts jedes Todesurteil unterzeichnen und ihm beiwohnen. Es war ein Schock gewesen, als sie ihnen gesagt hatte, dass sie nicht länger zusammen reisen konnten, weil ihre Mutter gestorben sei, und sie nun ihre Pflicht als Königin erfüllen müsse.
Immernoch klar, wie eine Spiegelung auf unbewegtem Wasser, stand das Bild vor seinen Augen. Beya (manil), die Ashar, die mit Bällen und Keulen so gut umgehen konnte, wie mit Messern, Vianil, der blass-brun und grün geschuppten Wasat, die sich, nachdem die Gruppe sie aus einer schwarzen Sekte befreit hatte, Silia, der ewig wandernden Heilerin verschrieben hatte, und ihren wahren Namen bis heute für sich behielt, Jerrak Gainor, dem in Reiken aufgewachsenen Steppenläufer, der sich vor einem jahr den Traum erfüllt hatte und nun zu den Rittern von Breschenboll, in den Grenzregionen zum Land der Kirche des Lichts gehörte und er, Karoges, der eigentlich Reglar Renger hieß, hatten mir ihr im 'Recken' gesessen, einer anrüchigen Kneipe, wo sie nach einem Dieb ausschau hielten, der es geschafft hatte, sie ihrer Barschaft zu entledigen, während sie ihre Pferde abzäumten, jedoch nicht schnell genug gewesen war, um ungesehen zu bleiben. Gerade als sich die Tür öffnete, und der Dieb eintrat, riss Lian plötzlich die Augen auf und blickte durch sie hindurch in die Ferne. Dann sackte sie plötzlich zusammen und sagte ihnen mit belegter Stimme das, was sie den Dieb auf der Stelle vergessen ließ.
Trotz ihres machtgewohnten Gebarens, das sie sich während ihrer Reisen abgewöhnen musste, hätte keiner von ihnen den wahren Grund für ihren Ärger darüber erwartet, dass sie ihr immer sagten, sie halte sich wie eine Königin.
Der Karren rollte steiler bergan, als er durch eine scharfe Kurve der Serpentinen fuhr. Für wenige Augenblicke fiel Karoges Blick über die Bäume auf die ewige Ebene und weit am Horizont auf die Rodos Berge, in denen die Dorik hausen sollten, die Menschen in ihre tiefen Stollen verschleppten, um sie zur Arbeit zu zwingen und nach ihrem Tod ihre Körper in die tiefsten Schlünde der Berge zu werfen, damit ihre Seele nie zu ihren Verwandten zurückkehren könnte. er hatte diese berge einmal bereisen wollen, doch Lian hatte ihn davon abgebracht, hatte ihm von den tausend Inseln des Meeressees erzählt, deren Geschichten ihn sofort faszinierten. Leider waren sie nie dorthin gekommen, weil Lian sie verlassen musste. Mit der Geschichte des Kampfes der Menschen gegen die Amutin, schreckliche Wesen, deren Gliedmaßen aus den Algen des Sees bestanden, hatte er sich seitdem in manchem Wirtshaus sein essen verdient.
Erst als der Wagen durch das Stadttor rollte, schreckte Karoges aus seinen Gedanken auf. NAchdem er dem Fahrer zwei Kupferstücke gegeben hatte, sah er noch einmal zu den Wachen hinüber, die sich auf ihre Piken stützten und den durchrollenden Wagen weit weniger Aufmerksamkeit schenkten, als dem Tanz, der hoch über ihren Köpfen von einigen jungen Aiuri in viel zu kurzer Tracht aufgeführt wurde. Sie schwangen sich auf ihren weißen Flügln mit einer Leichtigkeit durch die Lüfte, die an Schmetterlinge erinnerte, umkreisten sich, nahmen sich an den Händen um im gemeinsamen Sturzflug hinabzuschießen, und sich nur wenige Manneslängen über dem Boden zu trennen und wie Blätter im Aufwind wieder nach oben zu steigen.
Mühsam drängte er die Faszination zurück und wandte sich zu den Straßen der äußeren Stadt mit ihren Markständen, Straßenkindern, Goldschmieden und dem Wassergraben, durch den die Wasser des Iril flossen und der aus dem vordem klaren Fluss einen ungenießbaren, stinkenden Strom machte, um sich einen PLatz für die Nacht und etwas zu Essen zu suchen.
Zwei Stunden später schob er den Holzteller mit Eintopf zurück, legte den Holzlöffel daneben und sah sich im Schankraum der Herberge Bruchstein um. Es zog nicht allzu viele Menschen hierher, zumindest nicht wenn wie jetzt draußen noch die Sonne schien, doch es würden sich die treffen, deren Hilfe er brauchte wenn er unbemerkt zu Lian kara Ulior, der Königin von es Karast, vordringen wollte.
Zwei Stunden und drei Biere nachdem der Wirt seinen Teller wieder mitgenommen hatte, stand karoges ruckartig auf, holte beim Wirt zwei weitere Krüge Bier und setzte sich an einen Tisch links der Tür, neben einen breitschultrigen Neuankömmling. Die Farbe dessen Lederwamses war im Licht der Fackeln an den Wänden kaum auszumachen, doch über seine rechten Augenbraue zog sich eine Narbe bis weit über die Wange, wo sie eine kahle Linie in seinen bart zog. An seiner Seite ragte der Griff eines Haumessers aus einer bronzebesetzten Lederscheide.
Als Karoges das Bier vor ihne stellte, schob er den Humpen beiseite und fragte mit kratziger Stimme: "
Woher kenn ich dich?"
"Ich war vor zwei Jahren mal da. Du schuldest mir noch was für deine Wachliste."
"Du warst der, den sie erwischt haben? Ich frag mich, wie du da raus gekommen bist."
"Das kostet mehr, als du dir leisten kannst. Ich will wieder rein."
"Ich habe keine Wachlisten mehr."
"Willst du, dass die ganze Stadt von deinem Fehler erfährt?"
"Gut, hör' zu..."
Am nächsten Morgen betrat Karoges sein Zimmer im Falkenhorst, nahe der inneren Mauer. Eine lange Nacht lag hinter ihm, und er war fest entschlossen, sich nicht vor den folgenden Morgen auf den Weg zu machen.
Endlich lag die Schlossmauer hinter ihm. Mit zwei Handgriffen befestigte er die Steigeisen an seinem Gürtel und sah sich in dem Raum um, in den er gelangt war. Bis auf zwei Stühle und einen verstaubten Tisch in der Ecke war er leer und die Luft roch nach jahrzehntelangem Verfall, mürbe, feucht, staubig und ganz schwach der scharfe Geruch von brennenden Pechfackeln, der sich in den Wänden festgesetzt hatte. Plötzlich hörte er das harte Klacken von Schritten auf dem Gang. Gehetzt sah er sich erneut in dem Raum um, doch außer dem Tisch gab es keinerlei Möglichkeiten, sich zu verstecken, und selbst dort würde ihn jeder Ankömmling sofort bemerken.
Während er noch unschlüssig auf dem Steinboden stand, öffnete sich die Tür langsam und hindurch trat eine Gestalt in weißem Gewand, die kaum nachdem sie die Tür geschlossen hatte, die Flügel ausstreckte, dass sie die ganze Breite des Raumes füllten. Auf ihrer Stirn leuchteten drei Steine, einer rot, einer blau und in der Mitte ein weißer.
Wie gebannt stand er vor ihr und sah sie an. erst als sie leise anfing zu sprechen, löste er sich und erkannte sie, Lian kara Ulior, die ihm einst mehr bedeutet hatte, als er sich selbst einzugestehen wagte. Ihre sanfte Stimme, die so schnell an Schärfe gewinnen konnte, formte leise die Worte, die er sich lange gewünscht hatte.
"Karoges"
Er wagte nicht sich zu bewegen, als sie weiter auf ihn zu kam und die Edelsteine in ihren Händen blitzten.
"Karoges"
Sie stand direkt vor ihm und legte eine Hand auf seinen Arm.
"Wach auf!"
"Karoges, wachen sie auf!"
Ruckartig riss er die Augen auf. Grelles Licht blendete ihn, und er riss sofort den Kopf zur Seite. Langsam wurde er sich seines Umfelds gewahr. Er lag in einem Bett unter einer dicken Daunendecke. Durch das Fenster fiel rötliches Licht aus sein Gesicht, die Abendsonne. er strich sich über die Augen, versuchte seine Schläfrigkeit abzuschütteln, da hörte er die Worte erneut:
"Karoges, wachen sie au! Ein paar Herren der Wache möchten sie sprechen."
Sofort war er hellwach. seine Rechte tastete nach seinem Messer, das er neben dem Bett abgelegt hatte. Sobald er es im festen Griff hatte, sprang er auf und blickte aus dem Fenster nach unten. Zwei, vielleicht drei Manneslängen bis zum Boden. Hastig stellte er einen Stuhl vor die Tür und unter den Knauf. Dann antwortete er mit schwacher Stimme: "Moment, ich komme gleich" und zog seine Beinkleider und das Wams an. Sein Leinenhemd, das er noch am Vorabend gekauft hatte, schob er unter einen Trageriemen des Rucksacks. Augenblicke später hing er am Fenstersims und ließ sich fallen. Im selben Moment, als er auf dem Boden ankam, hörte er oben das Splittern von Holz und die erregte Stimme des Besitzers des Falkenhorstes. So schnell ihn seine Beine trugen floh er die enge Gasse hinunter.
In den Schatten eines Kellereingangs schwer atmend gegen die Wand gelehnt wartete Karoges, bis sich seine Lungen wieder leichter mit Luft füllten und die Schmerzen in den Nieren und den Beinen nachließen. Die langen Fahrten auf Bauernkarren hatten ihn einiges seiner Ausdauer gekostet.
Vom Boden des Eingangs stieg ein beißender Geruch auf, der sich langsam aber sicher in Nase und Lunge festsetzte und im Duft von Moder und Schlamm immer deutlicher hervorstach. Der Geruch einer Färberei, für die Es Karast berühmt war. Die leuchtendsten Farben entstanden aus dieser stechenden Flüssigkeit, und das Wissen darum hüteten die Färber eifersüchtig. Doch normalerweise lagen die Färbereien am äußeren Rand der Stadt. Da er kaum die ganze Breite des äußeren Rings durchlaufen haben konnte, musste es sich im eine der besten Färbereien handeln, wo reiche Händler, Schneider und Aiuri ihre Stoffe kauften. Das Rumpeln eines Karrens, gemischt mit dem Klappern von Pferdehufen lenkte Karoges Aufmerksamkeit auf sich. Er schlich zur Treppe des Kellereingangs, lehnte sich gegen die feuchte Steinwand und schob sich vor, bis er einen Blick auf den Wagen erhaschen konnte.
Keine zwei Schritt von dem Kellereingang entfernt standen die zwei kräftigen Rappen, die den mit bunten Tüchern behängten Wagen zogen.
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